Humankapital, Bildung und Ausbildung
Das Bildungssystem beeinflusst zwar nicht direkt das Innovationsgeschehen in einem Land, aber es schafft wesentliche Grundlagen dafür. In Nordrhein-Westfalen gibt es ein vielfältiges Bildungsangebot, das eine gute Ausgangssituation für ein lebendiges Innovationsgeschehen darstellt. Gleichzeitig gibt es Defizite etwa bei der Bildung von Schülerinnen und Schülern in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) und bei der Nutzung digitaler Medien in der Schul- und Hochschulbildung. Beides kann sich langfristig negativ auf das Innovationsgeschehen auswirken.
Die Bilanz von Nordrhein-Westfalen bei den Bildungsausgaben ist gemischt (Schaubild 3). Der Anteil der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) entsprach im Jahr 2018 mit 4% dem Bundesdurchschnitt. Er lag damit über dem der wirtschaftsstarken Länder Baden-Württemberg und Bayern mit 3,3 und 3,4%. Zwischen 2010 und 2018 hat er um 0,2 Prozentpunkte zugenommen. Damit stieg er etwas stärker als der deutschlandweite Durchschnitt mit 0,1 Prozentpunkten.
Schaubild 3: Ausgaben für Bildung als Anteil am BIP, 2018, in %, und Veränderung 2010 bis 2018, in %-Punkten

Quelle: Eigene Berechnungen nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (2019) und des Statistischen Bundesamts (Destatis 2019a).
Daten Schaubild 3 zum Download
Das Bildungsangebot in Nordrhein-Westfalen ist geprägt durch einen hohen Anteil der Absolventen in den Ingenieurwissenschaften (Schaubild 4). Im Jahr 2018 beendeten in Nordrhein-Westfalen 8,4 Absolventinnen und Absolventen je 100 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Ingenieursberufen erfolgreich ihr Studium, im Bundesdurchschnitt waren es 7,2.
Schaubild 4: Absolventen in Ingenieurwissenschaften je 100 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Ingenieursberufen, 2018

Quelle: Eigene Berechnungen nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (2019) und des Statistischen Bundesamts (Destatis 2020f).
Daten Schaubild 4 zum Download
Darüber hinaus untersucht eine Schwerpunktstudie vertieft Status und Mobilität des Humankapitals in Nordrhein-Westfalen.
Forschung und Entwicklung
Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) bilden die Grundlage für das Innovationsgeschehen. Die Untersuchungen zeigen, dass die Wirtschaft zwar nur in Baden-Württemberg und Bayern mehr in FuE investiert als in Nordrhein-Westfalen. Gleichzeitig unterscheidet sich die FuE-Intensität (gemessen als der Anteil der FuE-Aufwendungen am Bruttoinlandsprodukt) aber deutlich. Zudem sind die FuE-Aufwendungen der Wirtschaft in den vergangenen Jahren in Nordrhein-Westfalen unterdurchschnittlich stark gewachsen.
Kennzeichen von Nordrhein-Westfalen sind ein ausgewogenes Branchenmuster und ein überdurchschnittlicher FuE-Anteil des Hochschulsektors. Zudem ist der Mittelstand im Bereich FuE besonders aktiv und die öffentliche Forschung überdurchschnittlich anwendungsorientiert. Bemerkenswert sind die geringe FuE-Tätigkeit in wissensintensiven Dienstleistungen und der deutliche Unterschied in den FuE-Mustern von Staat und Wirtschaft im Bereich der Zukunftstechnologien.
Im Bundesländervergleich lag die FuE-Intensität in Nordrhein-Westfalen 2017 mit 2,07% deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von 3,14%. NRW bildet damit das Schlusslicht eines recht breiten Mittelfeldes der Bundesländer (Schaubild 5). Dieser Rückstand lässt sich auf die relativ geringe FuE-Intensität der Wirtschaft zurückführen. Insbesondere sehr forschungsaktive große Unternehmen der Automobilindustrie forschen hauptsächlich in anderen Bundesländern.
Schaubild 5: FuE-Aufwendungen als Anteil am BIP nach Sektoren 2017, in %

Quelle: Eigene Berechnungen nach Angaben des Stifterverbands Wissenschaftsstatistik (2019) und des Statistischen Bundesamtes (Destatis 2019).
Daten Schaubild 5 zum Download
Die FuE-Aufwendungen sind in Nordrhein-Westfalen relativ ausgewogen auf verschiedene Kernbranchen verteilt (Schaubild 6). Das Innovationsgeschehen dürfte daher vergleichsweise weniger anfällig für Krisen sein. Von den 8,4 Mrd. € an internen FuE-Aufwendungen im Jahr 2017 entfielen 1,9 Mrd. € auf die Elektroindustrie sowie jeweils etwa 1,3 Mrd. € auf die Automobilindustrie und die Chemische Industrie.
Schaubild 6: Struktur der internen FuE-Aufwendungen nach Kernbranchen, 2009 und 2017, in Mill. €

Quelle: Stifterverband Wissenschaftsstatistik (2019).
Daten Schaubild 6 zum Download
Weitere Befunde zu Forschung und Entwicklung in Nordrhein-Westfalen befinden sich in Abschnitt 2.2
Patentierung und neue Technologien
Patente geben Hinweise darauf, wieviel neues technisches Wissen mit wirtschaftlichen Anwendungsmöglichkeiten entsteht. Im Vergleich zu Bayern und Baden-Württemberg weist Nordrhein-Westfalen eine geringere Patentintensität und -dynamik auf. Dennoch ist das Land in Hinblick auf den Anteil der Patentanmeldungen in sieben Technologiefeldern der bedeutendste deutsche Technologiestandort (Schaubild 8), zudem holt Nordrhein-Westfalen in der Elektrotechnik/Informationstechnik und in der Instrumententechnik auf.
Hochgerechnet wurden 2017 insgesamt rund 8.000 Patente aus Nordrhein-Westfalen angemeldet (Schaubild 7). Je 1.000 Erwerbstätige waren dies 0,92 Anmeldungen. Damit liegt Nordrhein-Westfalen unter den Bundesländern auf dem vierten Rang, allerdings deutlich hinter Bayern und Baden-Württemberg, die eine Patentintensität von 2,41 bzw. 2,38 Anmeldungen je 1.000 Erwerbstätige aufwiesen. Der Durchschnittswert für Deutschland lag bei 1,22.
Schaubild 7: Patentanmeldungen 2017 je 1.000 Erwerbstätige

Daten Schaubild 7 zum Download
Gemessen am Anteil von Patentanmeldern aus Nordrhein-Westfalen an allen Patentanmeldungen ist Nordrhein-Westfalen in sieben Feldern das patentierungsstärkste Bundesland (Schaubild 8).
Schaubild 8: Anteil Nordrhein-Westfalens an allen Patentanmeldungen in Deutschland nach 35 WIPO-Technologiefeldern

Quelle: Eigene Berechnungen des ZEW sowie nach Angaben des Europäischen Patentamts (EPO 2016, 2017). – Anmeldungen der Jahre 2001-2017 bei DPMA, EPO, WIPO.
Daten Schaubild 8 zum Download
Weitere Befunde zu Patentanmeldungen aus Nordrhein-Westfalen befinden sich in Abschnitt 2.3.
Wissens- und technologieintensive Unternehmensgründungen
Gründungen sind ein Weg, um neues technologisches Wissen in innovativen Produkten, Dienstleistungen oder Produktionsprozessen zu nutzen (u.a. über Spin-Offs aus der Wissenschaft). Nordrhein-Westfalen weist dabei eine relativ geringe Zahl von Hightech-Gründungen und Gründungen aus Hochschulen auf. Gleichzeitig ist der Anteil von Gründungen mit hohem Beschäftigungswachstum vergleichsweise hoch. Das Land hat einerseits viele Hochschulpatente und funktionierende Unterstützungsstrukturen, andererseits wird aber vergleichsweise wenig Wagniskapital (Venture Capital) eingesetzt.
Nordrhein-Westfalen liegt mit 30 Gründungen pro 10.000 Personen im erwerbsfähigen Alter auf einem durchschnittlichen Niveau, vergleichbar mit anderen größeren westdeutschen Flächenländern, wenngleich Bayern und Hessen etwas besser abschneiden (Schaubild 9). Sowohl auf Bundesebene als auch in Nordrhein-Westfalen geht seit 2010 die Anzahl der Gründungen zurück. Nordrhein-Westfalen lag hier mit minus 28% in etwa im deutschlandweiten Durchschnitt.
Schaubild 9: Anzahl Gründungen je 10.000 Erwerbspersonen nach Bundesländern 2018 und Veränderung seit 2010

Quelle: Berechnungen des ZEW nach Mannheimer Unternehmenspanel.
Daten Schaubild 9 zum Download
Im Zeitraum 2007 bis 2018 ist das in Deutschland investierte Wagniskapital deutlich gestiegen (gemessen an der Anzahl der Transaktionen). Diese Entwicklung ist maßgeblich auf den Berliner Wagniskapitalmarkt zurückzuführen (Schaubild 10). Nordrhein-Westfalen konnte die Zahl der Investments im Zeitverlauf nur leicht ausbauen. Im Durchschnitt erhielten von 2015 bis 2018 ca. 0,5% der jungen Unternehmen in Deutschland eine Wagniskapitaltransaktion. Nordrhein-Westfalen liegt mit weniger als 0,3% der jungen Unternehmen am unteren Ende der Skala.
Schaubild 10: Anzahl der Investments in Junge Unternehmen durch VC-Geber oder Business Angels im Verhältnis zum Bestand junger Unternehmen

Quelle: Berechnungen des ZEW nach Mannheimer Innovationspanel.
Innovationen
Die Innovationstätigkeit von Unternehmen besteht darin, dass sie neues Wissen umsetzen sowie neue Technologien, Kreativität und Kenntnisse in neuen oder verbesserten Produkten, Dienstleistungen, Prozessen oder Geschäftsmodellen einsetzen. Großunternehmen investieren in Nordrhein-Westfalen unterdurchschnittlich stark in Innovationen, insbesondere bei FuE-Ausgaben. Gleichzeitig gibt ein hoher Anteil von kleinen und mittleren Unternehmen Geld für Innovationen aus bzw. generiert Innovationen. Dabei sind die Innovationsnetzwerke in NRW zwar vergleichsweise groß, sowohl die Erträge aus den Innovationen als auch deren Neuheitsgrad sind jedoch unterdurchschnittlich ausgeprägt.
Die vergleichsweise niedrigen FuE-Ausgaben der Unternehmen in Nordrhein-Westfalen senken auch die sog. „Innovationsintensität“. Sie ergibt sich, wenn man die Innovationsausgaben in die Komponenten Investitionen, FuE-Aufwendungen und sonstige Innovationsausgaben zerlegt und auf das Bruttoinlandsprodukt bezieht (Schaubild 11). Die nordrhein-westfälische Wirtschaft investiert in FuE 1,1% des Bruttoinlandsprodukts, Baden-Württemberg beispielsweise 2,7% und Bayern 2,9%. Bei den Investitionen in Innovationen liegt Nordrhein-Westfalen mit 0,8% nur wenig hinter diesen beiden Ländern, die jeweils auf 1,0% kommen. Auch bei den sonstigen Innovationsaufwendungen liegt Nordrhein-Westfalen nur um 0,1 bis 0,2 Prozentpunkte unter den Werten von Bayern und Baden-Württemberg und entspricht mit 0,6% dem deutschen Mittel.
Schaubild 11: Innovationsintensität der Unternehmen 2018 nach Komponenten

Quelle: Berechnungen des ZEW nach Mannheimer Innovationspanel.
Daten Schaubild 11 zum Download
Nordrhein-Westfalen hat einen hohen Anteil an Unternehmen mit eingeführten Innovationen (Schaubild 12). Da diese Statistik durch mittelständische Unternehmen dominiert wird, deutet dies auf eine hohe Innovationsdynamik im Mittelstand hin.
Schaubild 12: Unternehmen mit Innovationen 2010 bis 2018

Quelle: Berechnungen des ZEW nach Mannheimer Innovationspanel. – * Bruch in der Zeitreihe aufgrund einer weiter gefassten Definition von Innovation ab dem Berichtsjahr 2018; bis 2016: Produkt-, Prozess, Marketing- oder Organisationsinnovationen nach Oslo Manual 2005, ab 2018: Produkt- oder Prozessinnovationen nach Oslo Manual 2018.
Investitionen und Infrastrukturen
Infrastrukturen sind eine wichtige Grundlage für Innovationen in einer modernen Wirtschaft, insbesondere die digitale Infrastruktur. Die Ausstattung Nordrhein-Westfalens mit Infrastruktur ist insgesamt gut, es gibt nur vereinzelt Schwachpunkte. Bei der Breitbandinfrastruktur hat Nordrhein-Westfalen im Bundesländervergleich eine Spitzenposition und konnte sich zudem verbessern. Im Bereich der IT-Infrastruktur und -Sicherheit wurde überdurchschnittlich in Software und IT-Gründungen sowie in die IT-Security in Unternehmen, Hochschulen und Instituten investiert. Jedoch zeigt sich ein deutlicher Fachkräftemangel in der IKT-Branche (Informations- und Kommunikationstechnologien). Die Bruttoanlageinvestitionen je Erwerbstätigen als Indikator der Kapitalbildung waren in den vergangenen Jahren unterdurchschnittlich, in den Bereichen Elektronik, DV-Geräte und IKT entwickelte sich Nordrhein-Westfalen allerdings überdurchschnittlich gut.
Die Verfügbarkeit von Breitbandanschlüssen mit einer Verbindungsgeschwindigkeit von 50 Mbit/s stieg im Bundesdurchschnitt von 39% im Jahr 2010 auf 90% im Jahr 2019 (Schaubild 13). In Nordrhein-Westfalen stieg die Verfügbarkeit im gleichen Zeitraum von 58% auf 93%. Sowohl 2010 als auch 2019 lag Nordrhein-Westfalen bei diesem Indikator damit deutlich über dem Bundesdurchschnitt, lediglich in den Stadtstaaten und im Saarland war die Verfügbarkeit noch höher.
Schaubild 13: Anteil der Haushalte mit einer Breitbandverfügbarkeit von mindestens 50 Mbit/s (2010/2019) bzw. 100 Mbit/s (2019)

Quelle: Eigene Darstellung nach Angaben des BMWi (2010) und des BMVI (2019).
Daten Schaubild 13 zum Download
In Nordrhein-Westfalen liegt der Anteil der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer bzw. Institutsangehörigen, die die digitale Ausstattung als gut oder sehr gut einschätzten, bei den Hochschulen bei 53% und bei den Instituten bei 79%, der Bundesdurchschnitt dagegen nur bei 50% bzw. 72%. Schaubild 14 zeigt, in welchen Bereichen trotz einer insgesamt hohen Zufriedenheit noch Verbesserungsbedarf gesehen wird.
Schaubild 14: Verbesserungsbedarf bei der digitalen Ausstattung der Hochschulen in Nordrhein-Westfalen

Quelle: RWI-CEIT-Hochschulbefragung 2019. – 774 Antworten (Mehrfachnennung möglich).
Produktivität
Produktivitätsmaße geben Hinweise auf den Kapitaleinsatz in der Produktion, aber gleichzeitig auch über den Ausbildungsstand der Beschäftigten und die Auswirkungen des technischen Fortschritts. In Hinblick auf die Arbeitsproduktivität liegt Nordrhein-Westfalen im oberen Mittelfeld der Bundesländer, jedoch unterhalb des Bundesdurchschnitts. Führend ist das Bundesland insbesondere im Bereich der Chemischen Industrie, unterdurchschnittlich insbesondere im Elektroniksektor und im Fahrzeugbau.
Während Nordrhein-Westfalen im Bundesländervergleich beim absoluten Wert der Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen im Jahr 2019 an neunter Stelle lag, betrug das jahresdurchschnittliche Wachstum im Zeitraum 2010 bis 2019 nur 1,4% und war damit geringer als der Bundesdurchschnitt mit 2,2% (Schaubild 15). Davor (2000 bis 2010) hatte das Produktivitätswachstum mit 2,6% noch leicht über dem Bundesdurchschnitt gelegen.
Schaubild 15: Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen: Absolute Werte 2018 und jahresdurchschnittliche Wachstumsrate 2000 bis 2010 und 2010 bis 2019

Quelle: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder (2019).
Daten Schaubild 15 zum Download
Schaubild 16 gibt die Arbeitsproduktivität für das Jahr 2017, den Rangplatz von Nordrhein-Westfalen in Bundesländervergleich sowie die Abweichung der Produktivität vom Bundesdurchschnitt für wichtige Wirtschaftszweige wieder. Nordrhein-Westfalen belegt bei der Produktivität in der Chemischen Industrie deutschlandweit den ersten Platz mit einer um 17,9% höheren Produktivität gegenüber dem Bundesdurchschnitt. Demgegenüber ist die Produktivität im Elektroniksektor um 12,4% und im Fahrzeugbau sogar um 36,6% niedriger als in Deutschland insgesamt.
Tabelle 1: Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen in ausgewählten Wirtschaftszweigen Nordrhein-Westfalens im Ländervergleich 2017
|
BWS je Erwerbstätigen |
Rang |
Produktivitätsabweichung von Deutschland |
Verarbeitendes Gewerbe |
81.564 |
9 |
-7,2 |
Chemische Erzeugnisse |
169.785 |
1 |
17,9 |
Pharmazeutische Erzeugnisse |
191.605 |
6 |
-0,4 |
Fahrzeugbau |
98.788 |
11 |
-36,6 |
Maschinenbau |
83.591 |
8 |
-3,5 |
DV-Geräten, elektronische u. optische Erzeugnissen |
101.160 |
8 |
-12,4 |
Quelle: Eigene Berechnungen nach Angaben der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen der Länder (2020).